Kürzlich hat Die ZEIT einen Artikel über Empathie als hinzukommendes Bindeglied, als nächsten Schritt innerhalb der Evolution unseres immer stärker wachsenden, globalen Dorfes, veröffentlicht. Empathie, wichtiger als Öl und DIE Währung für die neue Zeit. Ein genauerer Blick zeigt drei wesentliche Aspekte, auf die näher eingegangen wird: I. weshalb Empathie nicht Mitgefühl ist (dies auch als Nachtrag zu meinem Artikel "Es braucht mehr Empathie, nicht weniger") II. wodurch Empathie erlernbar ist III. wie Empathie unsere Gesellschaft in ein neues Zeitalter katapultiert Kooperation statt Konkurrenz, Mit- statt Gegeneinander, Fürsorge statt Ausgrenzung: was seit Zeiten Darwins und seiner Theorie der Mutation und natürlichen Auslese ("Survival of the fittest") erst wieder mühsam Beachtung in den wissenschaftlichen und breiteren Öffentlichkeitsforen findet, war der Natur schon immer bekannt. Wir sind natürlicherweise darauf aus, einander die Hand zu reichen, Beziehungen aufzubauen und uns selbstlos um das Wohl anderer zu kümmern. Eine Hand wäscht die andere scheint weniger unser aller zugrundeliegendes Antriebsmotiv zu sein als die bisher noch oft vertretene These des homo oeconomicus besagt. Für Belege unserer sozialen, kooperativen und selbstlosen Natur sei auf die Experimente mit Kleinstkindern verwiesen, die eindrucksvoll zeigen, wie schon die ganz Jungen ihre helfenden Händchen ausstrecken - ohne Belohnung oder externe Verstärkung. Der Drang zum Helfen wird sogar verringert, sobald die Kinder für ihre Taten entlohnt werden. Ein Phänomen, welches wir jeden Tag in Schulen und Kindergärten beobachten können: Belohnung kommt, Lust geht... Der Film "Revolution der Selbstlosen" (siehe unten) geht dabei wunderbar anschaulich auf die Reise einer Welt, in der Verbundenheit und gegenseitige Unterstützung als DIE Triebmotoren unserer Evolution beschrieben werden. Immerhin brachte die Fähigkeit zur Kooperation unseren Vorfahren und später dem modernen Menschen Überlebensvorteile: gemeinsam ließ sich besser jagen und füreinander sorgen. Allein im Wald klingt nur als Kinotitel gut. Wer den anderen potentiell als Gegner gesehen und behandelt hat, lief Gefahr, aus der ganzen Gruppe ausgeschlossen zu werden. Und dies bedeutete nur allzu oft den unweigerlichen Tod. Wir Menschen sind soziale, empathische Wesen - daran ändert auch die Maxime des gängigen Neo-Kapitalismus nichts. Wir fühlen uns wohl, wenn wir anderen zu ihrem Glück verhelfen können. Und dies auch, wie ich überrascht im Film feststellte, wenn es um uns selbst nicht allzu rosig bestellt ist: in einem der ärmsten Länder konnte mit einem einfachen Experiment gezeigt werden, dass die Menschen glücklicher sind, wenn sie anderen eine Freude machten. Dabei hätten sie die ihnen angebotenen 20$ wahrscheinlich selbst gut gebrauchen können. Stattdessen gaben sie sie jemandem, dem sie damit ein Geschenk machten. Wodurch Empathie erlernbar ist Die Fähigkeit der Empathie ist dabei größtenteils angeboren. Wir wachsen bereits als sozial-verbundene Wesen auf, die die Gemeinschaft anderer brauchen und von sich aus zu ihrer Bereicherung beitragen wollen. Was dies in unserer heutigen Zeit jedoch verhindert ist der Zeitdruck. Er kann dafür sorgen, dass wir unsere Empathie unterdrücken, so wie es in Experimenten nachgewiesen wird. Wenn wir es eilig haben, verlieren wir schnell das Wohl des Anderen aus dem Blick. Trainierbar ist sie jedoch ebenfalls allemal. Ich wurde schon des Öfteren gefragt, ob denn ein jeder seine Fähigkeit zur Empathie stärken kann und ich glaube, dass wir alle ein Bewusstsein für uns und andere entwickeln können. Grundsätzlich stärkt ein unterstützendes Umfeld von früh an - ist es nicht gegeben, ist der Weg zu empathischem Denken, Fühlen und Handeln jedoch nicht verschlossen. Der Trainings- und Coachingmarkt hat dies längst verstanden und so sprießen Angebote zur emotionalen Kompetenz, Achtsamkeit und Selbstfürsorge immer mehr aus dem Boden. Zwar für viele noch als eine sehr ungewohnte Weise des Sprechens, Seins und Denkens erlebt, zieht die Empathie als DIE Schlüsselkompetenz immer weitere Kreise. Eine Bewegung, die sich nicht mehr aufhalten lässt. Wie Empathie unsere Gesellschaft in ein neues Zeitalter katapultiert Eine Empathierevolution wird auch durch die sozialen Medien befeuert. Gerade weil wir mit Ereignissen und Schicksalen anderer Menschen in den entferntesten Winkeln der Erde in Verbindung treten könnten und irgendwie "weltweit zusammengehören", kämen wir gar nicht umhin, ein empathisches Bewusstsein zu haben, so die Aussage im Artikel. Dies mag sein, ich merke nur für mich, dass mich vielmehr beschäftigt, wie wir es schaffen, durch Empathie Grenzen zu sprengen. Noch weite ich Empathie vor allem auf die aus, die mir ähnlich sind. Selbst 18 Monate alte Kinder begannen in den Experimenten zu trennen zwischen "Denen" versus "Uns". Wenn wir jedoch die Kämpfe einstellen wollen, die Verbundenheit feiern und eine Gemeinschaft (wieder)herstellen wollen, braucht es grenzüberschreitende Empathie. An amerikanischen Brennpunktschulen wurde dazu der Versuch unternommen, jeden Morgen vor Schulbeginn gesammelt 15 Minuten lang zu meditieren. Das Ergebnis: die Schüler gingen friedlicher miteinander um, es kam zu größerer Versöhnung und Integration als zuvor. Ich spüre: je empathischer ich mit mir selbst bin, je liebevoller ich mich betrachte und je klarer ich mir über mich selbst werde, desto einfacher gelingt es mir, über die Unterschiede zu den Gemeinsamkeiten zu kommen. Mir helfen dabei immer wieder die 4 Schritte, die Marshall Rosenberg im Zusammenhang mit der Gewaltfreien Kommunikation entworfen hat: über die (Eigen-)beobachtung gelange ich zu meinen Gefühlen, die mir Aufschluss über das geben, was ich im Moment brauche und kann durch die entstandende Klarheit zu Handlungen gelangen, die meine Bedürfnisse erfüllen. Kürzlich hörte ich dazu den fast entschuldigend-hervorgebrachten Satz: "Ich lerne jetzt, egoistischer zu sein.", als ob Egoismus etwas grundweg Schlechtes sei. So, wie wir das Wort in unserer Kultur geprägt und genutzt haben, kommen wir um den faden Beigeschmack, den es hinterlässt, wahrscheinlich auch nicht mehr ganz rum. Dennoch habe ich geantwortet: für mich ist alles andere als egoistisch, wenn ich beginne mich zu fragen, was mir wichtig ist und analog zu handeln. Wenn ich beginne mich um mich selbst zu kümmern, wächst auch die Fürsorge für andere, denn ich übernehme Verantwortung für das, was mich glücklich und ausgeglichen macht. Immer erst mit dem Auge auf den anderen schielend führt vielmehr dazu, dass ich mich selbst nicht wichtig genug nehme und mich über das Wohl des Anderen vergesse. Weshalb Empathie nicht Mitgefühl ist
Was uns zu dem feinen, aber bedeutsamen Unterschied zwischen Mitgefühl und Empathie bringt. Im Mitleiden/ Mitfühlen, kurzum in der Sympathie, verschmilzt das eigene mit dem fremden Ich. Ich gehe auf in deinem Leid, um es mal platt auszudrücken. So spiegele Sympathie "Besorgnis um den anderen wieder und den Wunsch, dessen Lage zu verbessern". Gelingt dies jedoch nicht, kann ausgedrückte Sympathie zu einem Erlebnis der Ohnmacht werden – und zur Abstumpfung führen. Hier hilft uns die Empathie: ich bleibe bei mir und kann mich dennoch mit deinem Schmerz verbinden. Mein Drang zu helfen wird zur unterstützenden Präsenz, die dir die Herausforderung in deinen Lebensumständen nicht abnehmen will. So bleibst du der Souverän deiner eigenen Geschichte. Für einen Filmgenuss zum Staunen sei zum Schluss der Film empfohlen, der Ausblick gibt auf eine Welt, in der wir alle wieder näher aneinander rücken. In diesem Sinne: Euch allen eine empathische Zeit!
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"Wenn wir das Menschliche
in seiner Tiefe erkennen, vermischen sich Leben und Tod und zeugen sich ständig neu in einem Tanz, der nur Bewunderung hervorrufen kann." Susanna Tamaro Kategorien
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Oktober 2019
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