Gibt's nicht geht nicht - was die ständige Verfügbarkeit mit uns macht
Der freudige Gang zur Blumenhändlerin - Gott sei Dank sind die Blumen in der Wohnung hinüber und ich darf neue auswählen! Im Laden angekommen begegnet mir gähnende Leere. Ein paar grüne Zotteln stehen halbverhungert in der Glasvase, ansonsten ist Kahlschlag angesagt. Zu heiß, lautet die Begründung. Na gut, sage ich mir, wird's ein Blumentopf, für den Balkon. Einer von den Tönernen, die untenrum noch eine Auffangschale haben. Diese gibt's nur noch aus Plastik, alle anderen: ausverkauft. Sei's drum, beides kommt in meine Tasche. Im Gespräch mit der Händlerin kommen wir auf den Liefermangel, der mir in Post-Corona-Zeiten (kann man das schon sagen?) immer wieder begegnet. Sie berichtet von leergefegten Großhandlungen und wir beginnen einen Plausch über das, was die meisten von uns wenig aushalten: Unverfügbarkeit. Ich erinnere, dass Hartmut Rosa ein Buch dazu geschrieben hat, zumindest trägt es das Wort im Titel. Nicht, dass ich es gelesen hätte, es fällt mir jedoch immer wieder ein, wenn ich dem Phänomen begegne, wie wenig wir damit klar kommen, dass das, was wir uns herbeisehnen, nicht verfügbar ist. Zumindest nicht sofort, vielleicht auch gar nie.
Es kommt nicht von ungefähr, dass Lieferdienste sich darin unterbieten, die Zeit zwischen Bestellung und dem Essen auf dem Tisch zu verkürzen. Und mal ehrlich, wer will schon 5 Minuten lang auf sein/ihr Essen warten? Eine Zumutung! Ich habe Hunger, ich will jetzt meine Sandform, äh mein Essen. ...da bin ich wohl in der Alterskategorie verrutscht. Dabei erinnert mich nichts so sehr an die Erfüllung infantilster Kleinkindbedürfnisse wie die Versprechen der Lieferdienste. Ähnlich ergeht es mir mit Amazon Prime & Konsorten. Das gekaufte gute Stück muss mindestens am nächsten Tag da sein, wehe, wir müssten warten! Gar vielleicht 2, 3 Tage oder sogar eine ganze Woche! Welcher Frust sich bei all der Wartezeit anstaut, das will doch keiner haben!
Also her mit dem ganzen Zeug und zwar zackig - Geduld ist was für Spießer und Vorfreude lassen wir den Vorschulkids, die immer noch an den Weihnachtsmann glauben.
Diese Alles-gleich-und-jetzt-Manie kommt mit erschreckenden Konsequenzen daher: unsere Frustrationstoleranz sinkt, genauso wie unsere innere Flexibilität, mit dem Gegebenen umzugehen. Aushalten, Warten, Geduldigsein werden als Lebensqualitäten ausrangiert zugunsten von Schnelligkeit, Nervosität und Gier.
Es verlieren gar Geschenke ihren Wert, immerhin kommt frau mit dem Kaufen gar nicht mehr hinterher, so rasch erfüllt sich die zu Beschenkende selbst ihre Sehnsüchte.
Fasst uns die äußere Leere eigentlich so sehr an, weil wir es nicht mit der inneren Leere aufnehmen können oder wollen? Der Konsum in seiner jetzigen Form hat eine zerstörerische Form angenommen, die Seelenlöcher unserer Gesellschaft zu stopfen. Wo ich meine inneren Dämonen nicht ertragen will, kaufe ich lieber ein. Wie der Junkie an der Spritze braucht es immer neuen Stoff - je länger die Abhängigkeit, desto schneller braucht es Nachschub. Wer oder was darunter leidet, die Natur, die ausgebeuteten Angestellten, die eigene Moral, egal. Hier tut's der nächste Einkauf und schon bin ich die quälenden Gedanken wieder los. Puh, nochmal gut gegangen.
Aushalten, was ist: leere Regale, Wartezeiten, innere Quälgeister sollten uns dazu verführen, die Unverfügbarkeit und die damit einhergehende Unperfektheit unseres menschlichen Seins neu wertzuschätzen.
Wie wäre es, wenn wir statt uns zu stressen, mal mit den Gegebenheiten Vorlieb nehmen? Vielleicht fällt uns dabei auf, wie viel wir eigentlich schon haben. Oder was es alles zu erfinden, zu improvisieren gibt, wenn wir mal nicht die erwartete Lieferung erhalten. Auch wenn's nicht alles gleich geht und auch wenn's nicht alles perfekt ist: ich zelebriere jede Gelegenheit des Ausharrens, der Langsamkeit und - der Unverfügbarkeit. Da, wo nicht alles selbstverständlich auf Knopfdruck da ist, sondern mit Kreativität, Pausieren und innerer Ruhe ausgeglichen wird. Schließlich breche ich mir keinen Zacken aus der Krone, wenn der Tontopf "nur" eine Unterschale aus Plaste hat. Die Blumen werden's auch nicht merken.
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