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Caroline Winning

Unerfüllte Mutterschaft und die Nazis

"Gleichgültig ob verheiratet oder nicht, Kinder soll sie haben. Mütter sollen sie werden - Mütter, Mütter, Mütter." Zeilen aus Erika Mann's Buch "10 Millionen Kinder. Die Erziehung der Jugend im Dritten Reich", welches mit seinem brockenschweren Inhalt immer nur in Bruchstücken verdaut werden kann.

Beim Lesen dieser Passage musste ich innehalten. Der damals formulierte Appell klingt so eindrücklich, gar erdrückend, dass ich mich unweigerlich frage, wieviel von diesem einstigen Idealbild einer Frau heute noch in mir sein Unwesen treibt.


Gesellschaftlich zerren gerade in den letzten Jahren viele engagierte Köpfe immer konsequenter ein Tabuthema nach dem anderen ans Tageslicht. So auch die weibliche Menstruation, das weibliche äußere Geschlechtsorgan, die Vulva, und ebenso das vermeintliche Ideal von Mutterschaft. Themen, die oft nur hinter vorgehaltener Hand besprochen werden.

Eine Freundin erzählte von einer Sitzung mit einer Therapeutin, in der sie ihr berichtete, dass sie als Mutter unglücklich sei. Die Therapeutin vermutete daraufhin eine Depression bei ihr. Auch wenn dies nur ein Beispiel ist, erleben wir daran doch den reflexhaften, abwehrenden Umgang mit Müttern, die über ihr Muttersein alles andere als erfüllt und glücklich sind.


Spuren der Vergangenheit


Heute wissen wir Dank der epigenetischen Forschung (ein Artikel hierzu >>), dass einstig erlebte Traumata über bis zu sieben Generationen biologisch an die Nachfahr:innen weitergegeben werden. Dabei sind die kollektiven Folgen genauso zu berücksichtigen wie die individuellen Auswirkungen auf die direkten Nachfahr:innen. Im Artikel "Wunden der Gesellschaft" aus dem Jahr 2015 wird dazu geschrieben: "Wenn der betroffene Mensch sich in seiner sozialen Umgebung nicht oder eingeschränkt mitteilen kann, weil negative soziale Folgen oder gar ein Ausschluss aus der

Gemeinschaft drohen, hat das umfassende Folgen für die soziale Wirklichkeit von Traumaüberlebenden wie auch für den Umgang mit kollektiven Traumata in der Gesellschaft."

Generationenübergreifende Weitergabe

Damit zurück zum Mutterideal der NS-Zeit und seinen heutigen Auswirkungen. Es entsteht zwangsläufig die Frage, wie sehr der damalige unbedingte Anspruch, Kinder als Nachwuchs für die "arische Rasse" in die Welt zu setzen, auch heute noch die Köpfe und Herzen aller Frauen bewegt. Ich selbst bin bislang kinderlos und bewege mich damit seit einigen Jahren inmitten von Phasen tiefster Todtraurigkeit sowie gelassener Zufriedenheit. Das gesamte Spektrum menschlicher Emotionen ist gefühlt einmal durch mich hindurch geflossen auf dieser unsagbar schweren, undurchsichtigen und sehnsüchtigen Reise.

Neben der bekannten biologischen Uhr mag es wohl sein, dass auch die einstige extreme Reduktion der Frau auf eine Gebärende und Mutter noch jetzt dazu beiträgt, dass ich Zeiten großer Scham und Bestürzung erlebe, wenn ich mir bewusst mache, dass ich und damit auch wir bislang kinderlos bin und sind. Kein leichtes Thema, wohlweislich, wie hartnäckig es sich noch immer in der Ecke der Tabus hält. Eine Frau ist doch keine richtige Frau, wenn sie nicht auch Kinder hat. Selbst im nahen Umfeld tauchte hier schon die Annahme auf, Kinderlose hätten weniger Einfühlungsvermögen für Kindernöte. Glaubensdogmen, die einfach nur schmerzen und jeder Realität entbehren.

Selbst heutige Kanzlerkandidatinnen werden hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit danach beurteilt, ob sie zugleich Mutter sind, während wir bei den Kanzlerkandidaten auslassen, über welche väterlichen Fähigkeiten und Zeitkapazitäten sie wohl verfügen.

Solange wir uns somit die Wurzeln dieser unfairen Behandlung und ihre verheerenden Folgen für ein generationenüberdauerndes Narrativ nicht bewusster machen, solange werden Mütter wie Nichtmütter mit ihrem Sein hadern.


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