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  • Caroline Winning

Effizienz - die schleichende Entmenschlichung

Gestriges Abendprogramm: eine Clowin, die das Altern portraitiert. Es treten auf: Täglich-grüßt-das-Mumeltier-Routine, eine Mir-doch-egal-was-andere-denken-Attitüde, kindliche Erinnerungsträume, wie es gewesen wäre, einmal eine Prinzessin zu sein und die Bedeutung des Moments als Teil der Ewigkeit. Am Ende war das Licht.

Eine Hommage an das Leben selbst. Was mich zur Effizienz bringt.

Ich beobachte sie als unentwegten Begleiter im Tagesrhythmus. Kaum etwas hat solche Zugkraft wie der Antrieb, etwas zu schaffen, zu tun, zu leisten und damit verinnerlichten Ansprüchen zu genügen - zumindest, wenn die Sozialisation erfolgsgetrieben ausgefallen ist.


Wir merken kaum noch, wie dieses Effizenzstreben unseren Alltag strukturiert, unsere Taten nach Wirkungsgrad gewichtet und uns eintrichtert, wir dürften nicht auf der "faulen Haut" liegen - was immer das meint. Wir planen, strukturieren, organisieren, strategisieren und unterwerfen den Lauf der Dinge dem Credo von Effekt, Abrechenbarkeit und Zielerreichung. Den meisten von uns ist dabei gar nicht bewusst, wie sehr uns die Effizienz gepackt und unser Leben in fein messbare Einheiten zerlegt hat.

Die Taktung unseres Lebens

Ich lese im Moment einen Roman über die (Gott sei Dank) kurze Etappe der italienischen Besatzungszeit in Äthopien, die die Einführung von Rassengesetzen zusammen mit gigantischen Bauvorhaben mit sich brachte. Neuzeitlicher Optimierungswahn trifft auf prämodernes Wissen. Auch hier sticht die Dominanz der Effizienz heraus, denn: wie können Völker wie das äthopische bisher so rudimentär gelebt haben? Sie müssen doch froh sein, wenn einer kommt und ihnen sagt, wie sie sich das Leben erleichtern können!


Nun brauchen wir nicht so weit ausholen, um wahrzunehmen, was ein unhinterfragtes Effizienzdenken mit uns macht. Es genügt, im hektischen Alltag innezuhalten und sich zu vergegenwärtigen, dass fast all unser Handeln davon bestimmt ist, tätig zu sein - und sei es, uns Genuss zu bescheren, so dass wir uns vom Stress erholen können. Wir planen unseren Tag beim ersten Augenaufschlag, wir machen 2 Dinge geichzeitig, um schneller voranzukommen. Wir sind mit den Gedanken schon beim nächsten Termin, obwohl wir noch im vorherigen hängen. Wir skizzieren die nächsten Schritte, kochen im Kopf das Abendbrot vor und überlegen uns, welche kleinen wie großen Projekte wir noch vorhaben - im Garten, im Job oder mit uns selbst. Kein Tag ohne ToDo-Listen, Pläne und den Rhythmus der Uhr. Die Effizienz, das straffe Durchtakten als das Übel der modernen Zeit. Selbst wenn wir uns heute bereits im postmodernen Zeitalter befinden, bestimmt uns weiterhin der Duktus des Höher-schneller-weiter.


Wann haben wir unter der Woche kein schlechtes Gewissen, wenn wir nur in den Tag hinein leben? Wie geht das eigentlich, in den Tag hinein zu leben, so ganz ohne Plan und Müssen? Und was wäre, wenn wir uns dies mehr als einen Tag, vielleicht gar über Monate oder Jahre erlauben? Keine Ahnung, wie das wäre, aber mir fällt auf, dass mein inneres System nichts anderes kennt als den Takt des Abarbeitens oder die Verweigerung dessen. Dass es vielleicht viel sinnvoller sein könnte, 4 Jahre lang zurückgezogen zu leben und zu meditieren, ist kaum vorstellbar.


Effizienz per se ist nichts Schlechtes. Ich mag es mitunter sehr, wenn Meetings effizient laufen oder Projekte nicht mehr Zeit & Kosten verbrauchen wie nötig. Sie hat uns Fortschritt gebracht und wird es auch in Zukunft tun. Bleiben wir ihr jedoch verhaftet, ohne unseren Blick für andere Aspekte wie Qualität, Würde oder Integration zu weiten, reduziert sie das menschliche Sein auf Gewinn, Wettbewerb und Anstrengung. Und verschließt uns gleichsam die Augen für das Leben selbst: den zeitlosen Moment, die göttliche Qualität des Auskostens profanster Alltagshandlungen und das Träumen schlechthin. Wenn das Kaffeekochen am Morgen, das Schuhebinden beim Jüngsten, der Einkauf beim Bäcker oder die Fahrradtour im Grünen allesamt dem Diktat der schnellen Zielerreichung unterworfen sind, spätestens dann gilt es aufzuwachen und der ernsthaften Frage nachzugehen: wozu?


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