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  • Caroline Winning

Wir hören einander nicht zu

Elif Shafak schreibt in ihrem neuen Essay "Hört einander zu!", dass unsere gesellschaftliche Kommunikation ins Stocken geraten sei. Immer mehr Menschen hätten den Eindruck, nicht gehört zu werden – mit fatalen Auswirkungen: «Das permanente und als selbstverständlich empfundene Gefühl, systematisch überhört zu werden, versiegelt zunächst unsere Ohren und dann unsere Herzen.» Nochmals einfacher gefasst: Wer nicht gehört wird, mag irgendwann auch nicht mehr zuhören.


Dem pflichte ich bei und frage mich: warum ist es derart über uns gekommen, dass wir nicht mehr zuhören können, ja wollen? Was fehlt, dass uns befähigen würde, einander aufgeschlossen lauschend zu begegnen?


In unserer überhitzt-rationalen Welt mit ihrem überstarken Drang, Lösungen zu haben, steht uns genau dies im Weg: der Antrieb, irgendwohin zu kommen, irgendetwas zu machen und das Problem auf schnellstmöglichem Wege aus dem Feld zu räumen. Hauptsache, die Sache ist gelöst und es geht weiter, immer weiter, egal wohin und noch weniger wichtig, ob wir da eigentlich alle hinwollen.


Im Machen liegt die Macht

Das Entscheidende in dieser Zeit: etwas tun, schaffen, antworten, neue (technologische) Lösungen finden, die unser Problem abschaffen. Schlicht loswerden, nur nicht aushalten, sich seiner ganz und gar entledigen, damit es nicht den Anschein hat, wir wären ahnungslose Looser, Nichtsnutze, Taugenichtse ohne Gestaltungsmacht.

Probleme aushalten, ihnen neugierig ins Antlitz schauen, sie als Chance für innere Weite zu sehen ist kaum erstrebenswert in dieser Zeit. Wir halten es weder aus zu warten, noch vermögen wir einfach nur zu sein. Nichtstun, pures Gegenwärtigsein - den meisten von uns graust es derart davor, dass wir uns permanent in Bewegung halten, gedanklich oder mittels ständigem Aktivsein.

So auch im Kopf, der rastlos die passendsten Antworten hervorkramt, um den Problemen und Ängsten unseres Gegenübers möglichst rasch die in ihnen liegende Potentialität abzuwürgen.

Reine Gegenwärtigkeit als etwas, was dem, was ist, erlaubt zu sein, halten wir derzeit kaum aus. Stattdessen brennen Kopf, Herz & Beine so lange, bis wir erschöpft zusammenbrechen und merken: das, was uns Menschen verbindet, lässt sich nicht lösen. Hierfür gibt es keine Antworten. Alles, was zählt, ist die absichtslose Präsenz, das blanke Dasein, das nichts will, außer dem Gegenüber in die Augen zu schauen und unserem So-Sein die Hand zu reichen.


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