Reicht die Gewaltfreie Kommunikation, um Konflikte zu lösen?
- Caroline Winning

- vor 5 Tagen
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Ein Generationenkonflikt im Seminarraum
Im Einführungsseminar "Einführung in die Gewaltfreie Kommunikation" entfacht ein Konflikt um die Generationen. Die Leitungskraft einer sozialen Einrichtung beklagt mangelnden Einsatz der jüngeren Kolleginnen. Während früher anstandslos mit angepackt worden wäre, kümmern sich viele der Generation Y & Z nur noch um das Nötigste und haben vor allem ihre Work-Life-Balance im Blick. Die Klage über das geringe Engagement für den Job provoziert wiederum eine andere Teilnehmerin, ebenfalls Leitungskraft. Sie gerät in Rage und entgegnet ihrer älteren Kollegin wütend, dass die älteren Generationen mit ihrer Erziehung dafür verantwortlich wären, wenn die heutigen Millenials sich so verhalten, wie sie es nun zum Vorwurf bekommen. Dies brachte den zündenden Funke, der eine hitzige Diskussion zwischen beiden entfachte.

Was hinter den Emotionen steckt
Da wir uns mitten im Seminar befanden, diente die Situation zur Steilvorlage. Ich sprach gezielt die Gefühle beider Frauen an und versuchte, die tiefer verborgenen Bedürfnisse zu benennen, um die es beiden eigentlich ging. Schnell tauchte der Begriff "Selbstfürsorge" auf. Eine der Leitungskräfte war jahrelang über ihre Grenzen gegangen und hatte Aufgaben anderer übernommen, wodurch sie fast in ein Burnout geschliddert wäre. Die Klage ihrer Kollegin über das geringe Engagement jüngerer Kolleginnen hatte sie an ihre eigene Überlastung erinnert und das Bedürfnis nach Selbstfürsorge in ihr lebendig werden lassen. Noch stand sie mit der Achtsamkeit für sich selbst ganz am Anfang, was ihren Ausbruch so leidenschaftlich machte. Sie schien noch unsicher, wie gut es ihr gelingen würde, sich zukünftig mehr um sich selbst zu kümmern.
Ihre Kollegin hingegen drückte in ihren Klagen vorrangig ihre Angst aus, im Alter zu wenig Unterstützung durch nachfolgende Generationen zu erfahren. Damit lag ein stark existentielles Bedürfnis nach materieller Sicherheit drunter, welches sich an dem Verhalten der heutigen Generationen entzündete.
Was die GFK sichtbar macht
Diese Szene zeigte einmal mehr, wie tief Konflikte gehen können. Sie warf die Frage auf, die mich seit Jahren begleitet: Reicht die Gewaltfreie Kommunikation, um Konflikte wirklich zu lösen – oder braucht es mehr?
Einerseits wurde ich wiederholt Zeugin ihres Potentials, auf die eigentlichen Ursachen zu stoßen, die wie Tiefenströmungen unsere Kommunikation und unser Miteinander beeinflussen: unsere Bedürfnisse.
Noch vor 50 Jahren hatte es diese nicht geben dürfen, stattdessen waren Verzicht und Zurücknahme der Alltagskitt. Heute bekommt die Frage danach, was Mensch braucht, immer mehr Aufwind und verwandelt unser Bild von Pädagogik, Bildung und Kultur. Trotzdem erfahre ich immer wieder auf's Neue, wie wenig wir in Berührung mit unseren Bedürfnissen sind. Hier leistet die Gewaltfreie Kommunikation große Dienste an der Gesellschaft, indem sie die Bedürfnisse ins Zentrum einer lebensdienlichen Zukunft stellt. Nur wenn wir wissen, was wir wirklich brauchen, können wir loslaufen und in die Selbstverantwortung kommen. Alles andere ist blindes Nachvornstolpern.
Wo die GFK endet – und tiefere Ebenen beginnen
Gleichzeitig hat auch die GFK - wie so viele Modelle - ihre Begrenzungen. So sehr sich die Situation durch das Erkunden der Bedürfnisse auch entspannte: es sind tief verankerte Muster, die dafür sorgen, andere wichtiger zu nehmen als sich selbst oder eine existentielle Angst vor Altersarmut zu entwickeln. (Ohne die strukturellen Schieflagen zu vernachlässigen, die uns auffordern, sie nicht hinzunehmen, sondern im Sinne einer gerechteren Gesellschaft zu verändern.)
Muster, die die GFK aufdecken und teilweise auch heilen kann, jedoch nicht ausschließlich. Wodurch Heilung möglich wird, geschieht, indem verdrängte Bedürfnisse an die Oberfläche kommen dürfen, achtsam wahrgenommen, zugelassen und gewürdigt werden. Konnten wir bspw. als Kinder nicht genügend spielen, weil wir schon früh in eine erwachsene Rolle treten mussten, kann die GFK ein Weg sein, dieses Bedürfnis heute zu uns zu nehmen und in unser Leben zu integrieren.

Heilung braucht alle Ebenen
Psyche, Geist, Körper, System & Seele brauchen jedoch ihre jeweilige eigene Bearbeitung. Ein unterdrücktes Bedürfnis führt immer auch zu einem dauergestressten Nervensystem. Bieten wir dem Körper Praktiken der Beruhigung an, kann auch auf der körperlichen Ebene Veränderung geschehen. Wurde das Muster, früh erwachsene Aufgaben zu übernehmen, bereits über viele Generationen durchgereicht, bewirkt die systemische Familienaufstellung eine Musterauflösung. Trägt unsere Seele karmische Lasten, kann die energetische Arbeit helfen, uralte Verstrickungen unserer seelischen Ebene aufzuheben. Der Geist wiederum braucht Erklärungsansätze und handlungstaugliche Strategien, um Stück für Stück neue Denkmuster herauszubilden. Unser Menschsein ist vielschichtig und so bedürfen alle diese Daseins-Schichten ihre entsprechende Adressierung mit den jeweiligen Methoden.
Dafür spricht auch, dass jede unserer Entwicklungsphasen vom Fötus bis zum reifen Erwachsenen andere Verarbeitungsmodi besitzt. Sind wir zu Beginn noch reines Körper-Ich, das die Welt sensorisch erfasst, machen wir uns spätestens ab der Pubertät mittels Reflexion ein Bild von ihr. Erleiden wir unterwegs also Schiffbruch in Form von Entwicklungstraumata, werden die Erfahrungen zu Beginn noch rein körperlich abgespeichert, während wir später versuchen, Geschehenes auch mental zu verarbeiten. Diesen Unterschieden muss Rechnung getragen werden, um Heilung zu ermöglichen.
Hier kann die GFK ihren Beitrag leisten, indem sie Licht an die Wurzeln unserer Reaktionen bringt – doch das Auflösen alter Muster geschieht auf tieferen Ebenen: im Körper, im Nervensystem, im Familiensystem, in der Seele.
Konflikte lassen sich nicht „wegkommunizieren“. Aber wir können durch Sprache Zugang finden zu dem, was wirklich nach Heilung ruft.




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