Ganzheitlich führen mit Intuition
Es fällt schwer, über so etwas Vages wie Intuition zu schreiben. Ich will keine Fachliteratur bemühen, Definition mal Definition sein lassen und beherzt dem nachspüren, was auch als innere Stimme bezeichnet wird. Die gute Nachricht ist: wir haben sie alle. Die schlechte: vielen von uns ist sie abhanden gekommen und wird zusammen mit kindlich-naiven Sichtweisen in eine Schublade geworfen, in der sie dem ersten Vergleich mit harten Fakten komatös erliegt. Immerhin betreten wir mit ihr ein Terrain, welches objektiv nicht erfasst werden kann. Und wir wissen ja: alles, was wir nicht messen können, existiert nicht wirklich ;)
Im Gespräch mit einigen Führungskräften tauchte es dann doch auf, das ominöse Bauchgefühl, welches sich bei der Einstellung einer neuen Mitarbeiterin gemeldet hatte. Auch wenn alle Fragen positiv beantwortet wurden, alle Abschlüsse vorhanden waren, grummelte es gefährlich bei einer der Leitungskräfte. In Ermangelung am Kreuzchen auf der Bewerbercheckliste blieb es beim Grummeln, die Kandidatin trat die Stelle an und mit ihr begann eine Armada an Konflikten. Einer dieser Vorgänge, die wir viel zu oft erleben, egal in welchen Lebenssituationen und durch den deutlich wird: die innere Stimme hat es gewusst. Und keine Möglichkeit gefunden, sich im Dickicht der Formalisierung & Standardisierung sinnvoll Ausdruck zu verschaffen.
Dabei wird sie in Zeiten zunehmender Komplexität und Ungewissheit als eine wichtige Quelle für stimmige nächste Schritte gebraucht, immerhin ergänzt sie unser kognitiv-planerisches Vorgehen um eine Resonanzerfahrung mit der uns umgebenden Welt und ihren subtilen Schwingungen. Als diese lassen sich Emotionen unserer Gegenüber bezeichnen, genauso wie Frequenzen aus den kollektiven Feldern, in denen wir uns bewegen. Im tieferen Sinne lädt das Erspüren des Raumes dazu ein, uns mit dem schöpferischen Impuls des jeweiligen Moments zu verbinden, wie es u.a. in der Theorie U (Otto Scharmer) beschrieben ist. Dieser Impuls als Ausdruck dessen, was gerade Gestalt annimmt und sich offenbart im präsenten Gewahrsein, kann mittels der Intuition erfasst werden. Sie eröffnet uns damit eine nicht-duale Einsicht und somit Erkenntnis, die weiter greift als unser Alltagsdenken mitsamt seiner Denkschablonen & Begrenzungen.
Für solch intuitive Einsicht braucht es Einstimmung und die Wahrnehmung des uns bekannten, untrüglichen Bauchgefühls. Es braucht das Lassen, Körperwahrnehmung, Empfangen, Zentrierung und das Fühlen. Führungskräfte der post-postmodernen Zeit sind angeregt, diesen Zugang aktiv in sich zu etablieren und ihn für die ganzheitliche Entwicklung ihrer Teams und Abteilungen bewusst zu nutzen. Die Frage ist somit, wie wir auch in formalisierten Organisationsstrukturen den Erkenntniswert der Intuition fruchtbar machen können?
Unter integraler Betrachtung schauen wir dazu auf 4 Handlungsfelder und zwar 1. die von Psyche & Haltung, 2. die von Kompetenzen & Verhalten, 3. die der Kultur sowie 4. der Struktur.
Hier verhält es sich wie beim Eisberg-Modell: erst wenn zugrundeliegende individuelle wie kollektive Einstellungen einschließlich Glaubenssätze, Widerstände, Ängste und Hoffnungen dahingehend mitgenommen werden, Intuition als verlässliche Informationsquelle anzuerkennen, ist der Weg zur Umsetzung nicht mehr weit. Die Bereiche von Haltung & Kultur prägen maßgeblich, wie mit den Dingen in Organisationen umgegangen wird.
Bedenken, die menschliche Intuition zu nutzen, gibt es viele: Wer sagt, dass die Information von einer universelleren Ebene kommt und nicht vom leicht beeinflussbaren Geist? Wie bedeutsam ist ihr Beitrag im Gegensatz zu den bisherigen Informationsquellen wie Berechnungen oder Zukunftsprognosen? Wie verlässlich ist die Aussage, wenn nur eine Person "Bauchschmerzen" entwickelt?
Die wissenschaftliche Datenlage sieht hierzu vielversprechend aus, nur: das Festhalten an einem rationalen Umgang mit der Welt steht dem Transfer in die Praxis vielfach noch im Weg. Und auch hier landen wir wieder beim Unbewussten. Es gibt triftige Gründe, weshalb Menschen am Verstand als Lenker ihres Lebens feshalten. Ein markanter ist die einstige Erfahrung, überwältigenden Gefühlen in jungen Jahren ausgeliefert gewesen zu sein. Zoomen wir hinein: fehlt Kindern ein Gegenüber, welches sie in ihren Bedürfnissen sieht und ernst nimmt, erleben sie chronische Überforderung, da sie mit den damit zusammenhängenden Gefühlen der Verletzung, der Einsamkeit und des Schmerzes nicht umgehen können. Als Überlebensstrategie spalten sie sich unbewusst von diesen beängstigenden Gefühlen ab. Im Erwachsenenalter sehen wir dann Menschen, die sich mit Plänen, Zielen, Fakten und unablässlichen Gedankenspiralen durch die Komplexität des Lebens bewegen - bis es ihnen die Unmöglichkeit ihres Unterfanges deutlich macht. Dieser Vorgang spiegelt sich gesamtgesellschaftlich in der wahnsinnigen Mechanisierung & Bürokratisierung von Mensch & Umwelt. Das Ergebnis der einst unterdrückten Erlebnisse ist die Vermeidung jedes noch so unkontrollierbaren Zustands, womit wir bei der Intuition wären. Da wir sie als Gefühls- und körperliches Erleben in uns spüren, steht eine betont rationale Lebensweise dem im Weg.
Wesentlich bei vorher Gesagtem ist: kollektiv gilt dasselbe wie individuell. Wurden die Bedürfnisse der Menschen innerhalb einer Organisation lange nicht gesehen und gewürdigt, greifen Abwehrmechanismen, die den Zugang zu tieferen Einsichten für die Zukunftsgestaltung blockieren können.
Nun ist eine Organisation in der Regel kein Ort für die Aufarbeitung schmerzhafter Erfahrungen. Gleichzeitig schaffen es mittlerweile systemische Verfahren wie Organisationsaufstellungen, kulturelle Verletzungen aufzuzeigen und dem System durch Bewusstmachung gezielte Impulse in Richtung Ganzheitlichkeit zu geben.
Daneben liefern Coaching und Supervision wertvolle Möglichkeiten, individuelle Spannungen zu bewältigen, womit wir den Bereichen Psyche & Kultur entsprechende Maßnahmen zur Seite gestellt hätten. Intuition ist außerdem lernbar. Die Kompetenz des Spürbewusstseins, welches mit einer guten Körperwahrnehmung beginnt, kann in Übungen & Trainings gefördert und vertieft werden. Die Theorie U hat dies als Gruppenprozess abgebildet und erprobt auf diese Weise, wie kollektive Feldintelligenz aufgebaut werden kann. Solche Verfahren sind zukünftig wesentlich für eine integrale, ganzheitliche Organisationsgestaltung.
Wir stellen uns somit die Führungskräfte im Bewerber:innen-Assessment vor, wie sie erst die Faktenlage prüfen, sich dann ihre emotionalen Empfindungen mitteilen, um anschließend ein Gruppengewahrsein aufzubauen, mit welchem sie Impulse aus dem tieferliegenden Erkenntnisfeld wahrnehmen. Eine derartige Vereinigung von Intellekt, Gefühl & Intuition hat das Potential, stimmigere Entscheidungen bei der Personalauswahl (und nicht nur dort) zu treffen - und sich einigen Ärger zu ersparen.
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