Liebesrausch mit Lerneffekt: Warum der Andere nie nur der Andere ist
- Caroline Winning
- vor 3 Tagen
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Die Liebe ist manchmal ein Schlachtfeld. Und fängt gar oft so himmelhochjauchzend an. Wir begegnen einander, die Hormone beginnen zu tanzen und kaum haben wir uns versehen, sind wir im Liebesrausch versunken. Mit etwas Glück hält dieser länger als ein halbes Jahr an, auch wenn wir dann bereits auf der Hut vor Erlösungsfantasien sein müssen. Häufig beginnen narzisstisch geprägte Beziehungen damit, dass sich beide Partner:innen gegenseitig in den 7. Himmel heben. Der/die Andere ist der, auf den man immer gewartet hat, solch eine Liebe wie diese gibt es kein 2. Mal auf dieser Welt. Die Verliebtheit nimmt exzentrisch-grandiose Maße an, was den abgrundtiefen Sturz auf den Boden der Tatsachen vorprogrammiert.

Enttäuschungen sind - vor allem am Anfang - in den meisten Liebesbeziehungen vorprogrammiert. Ein Grund dafür liegt darin, dass wir uns in die schönste Version unserer selbst verlieben und daher im Anderen Dinge sehen, die wir uns (selbst) schon immer gewünscht haben: Tatkraft, Spontanität, einen großen Freundeskreis, Unaufgeregtheit, Genügsamkeit, Humor - Qualitäten, die wir vermissen und im Gegenüber suchen. Nur, dass nach der himmelhochjauchzenden Verliebtheitsphase häufig die Erkenntnis eintritt: soviel Spontanität wollten wir nun auch wieder nicht. Ständig unterwegs zu sein ist allzu stressig, sein Humor manchmal echt zu flach. Schwupps macht sich die Desillusionierung breit und sprengt all die glänzenden Bilder, die wir vor Kurzem noch vom Anderen hatten.
Die Übertragung positiver Eigenschaften auf mein Gegenüber gilt als Goldener Schatten. Er bezeichnet all jene Persönlichkeitsaspekte, die potentiell in mir angelegt, aber (noch) nicht zur vollen Blüte gereift sind. Dies können bisher gänzlich ungelebte Seiten sein wie Kreativität oder Mut, ebenso wie Potential, welches noch mehr in uns reifen und sich in uns vervollkommnen will. Was wir (bisher) nicht leben, aber bewusst oder unbewusst ersehnen, soll der Andere mitbringen und uns zu einem ganzeren Menschen machen.

Auf der Gegenseite birgt Partnerschaft die Chance, alte Entwicklungswunden zu heilen, indem wir uns in Menschen mit eben solchem Heilungspotential verlieben. Was schön klingt, kann jedoch sehr stressig werden, bringt es doch echte Arbeit mit sich. Denn wir projizieren nicht unser Licht, sondern auch unseren dunklen Schatten auf die neue Partner*in.
Dieser bezeichnet all jene Eigenschaften, die wir auf Grund von Prägung und Sozialisierung unterdrückt und so den Zugang zu ihnen verloren haben. Lebendigkeit, Lust, Genuss, Müßiggang, Verletzlichkeit oder Willenskraft als Beispiele für Seiten in uns, die früher auf wenig Resonanz gestoßen sind und daher als verkümmerte Seelenanteile in uns existieren. Diese Teile zu erkennen braucht ein Gegenüber, das uns wichtig genug ist, um unsere Aufmerksamkeit für das Verdrängte zu schärfen. Freunden kann man leichter ausweichen als dem Menschen mit Liebeskleister an sich. Dabei gilt die Faustregel: je mehr die/der Partner*in mich triggert, desto wahrscheinlicher bin ich auf seelische Rohdiamanten gestoßen - also auf Teile in mir, die nach Integration & Frieden streben.
Anstatt sich somit über mein Gegenüber mit seinen Macken zu echauffieren, lohnt es, den Finger auf sich selbst zu richten und in liebevoller Hinwendung zu forschen, worauf mich mein Getriggertsein aufmerksam macht. Partnerschaft mit ihrer Verliebtheitsphase ist daher ein ideales Feld, sich selbst näher zu kommen. Wenn wir uns bewusst machen, dass wir im Anderen unserem eigenen Licht & Schatten gegenübertreten, kann die Suche nach dem Glück enden und wir dürfen endlich fündig werden - in uns.
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