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Liebe Hassprediger: schweigt! Weshalb wir Ausgrenzung & Intoleranz entgegen treten müssen

Worüber schreiben, wenn schon alles gesagt wird? Wir können uns vor Kommentaren, Meinungen, Diskussionsbeiträgen und jedem erdenklichen Geplapper kaum noch retten. Egal, wie oberflächlich oder unmenschlich die Aussagen sind, sie kriegen alle dieselbe Bühne. In dem guten Glauben, mittels Zuhören, Reden und Dialog lässt sich ein jeder (letztlich) zum „rechten Weg“ bekehren.

Also lesen wir in der Presse Seehofer’s abschreckende Parolen über Geflüchtete und Migranten, die, wenn’s nach ihm ginge, herkommen in böser Absicht, unser Land ins Chaos zu stürzen. Fleißig reihen sich AfD’ler, Co-Politiker und all jene ein, die sich vor lauter Angst hinter mentalen Holzverschlägen verbarrikadiert haben. Es ist zum Kopfschütteln, Weinen und Verrücktwerden. Wo sind wir hingekommen? Wo bleiben solche Meinungen, die Um- und Weitsichtigkeit, Empathie, Großmut, Toleranz, Liebe und Würde jedes Einzelnen in ihren Herzen und auf den Lippen tragen? 

Wir brauchen mehr Sendezeit für all jene, die sich neben Verstand auch und zwar vorrangig ihres Herzens bedienen! Die sich trauen, den Engstirnigen, Hetzern und Panikmachern ihr unwürdiges Verhalten zu spiegeln. Und wenn das nicht hilft, sie klar in ihre Schranken zu verweisen. Wir können immer noch zuhören und in echten Dialog und Austausch treten. Vorher braucht es jedoch ein beherztes, deutliches STOP, so nicht!

Wo Grenzen überschritten werden, braucht es ein Stop!

Unsere heutige, pluralistische Weltsicht führt schnell zu Beliebigkeit. Das sehen wir daran, dass Menschen á la Donald Trump mit ihrer unterentwickelten Moral derartig viel Aufmerksamkeit bekommen. Schnell werden dann aus ihnen (gefährliche) Vorbilder für Sympathisanten. 


Unser humanistisches Ideal von Gleichheit und Freiheit macht hier einen fatalen Fehler: es übersieht schlicht, dass humanes Gedankengut eine Entwicklung voraussetzt. Wir kommen nicht auf die Welt und wissen, was Toleranz, Offenheit und Gleichwertigkeit bedeuten. Diese Werte werden uns im Laufe unseres Lebens vermittelt. Bestenfalls von Anfang an. Vorher sind wir evolutionsbiologisch zwar mit der Neigung zur Kooperation ausgestattet, verwerfen diese aber, sobald sich das Konkurrenzgebaren als erfolgreicher herausstellt. So laufen viele ihr Leben lang mit dem Gedanken durch die Gegend, es sei nicht genug für alle da. Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht; so verteidigen wir missgünstig unsere Pfründe anstatt zu teilen, was eh nie jemandem wirklich gehört hat. Oder nehmen wir unseren VW Tourag mit ins Grab? Das Reihenhaus? Den Fernseher? Nichts davon ist unser Besitz, nicht einmal unsere Kinder gehören uns. 

Hören wir bitte also auf, AfD, Seehofer, Trump und Co. die beste Sendezeit einzuräumen. Nein, sie lassen sich nicht mitfühlend bekehren. Auch wenn wir ihre Ängste ernst nehmen würden, müssten daraufhin erstmal gehörige Taten folgen, damit die Angst wieder aus dem System weichen kann. Bis es soweit ist müssen wir einen Riegel vor die moralverseuchten Hassbotschaften schieben und stattdessen Gespräche anfachen, was Menschlichkeit bedeutet und wie wir sie trotz aller Herausforderungen jeden Tag (mehr) leben können. Dazu braucht es Mut, Vertrauen und den unbedingten Willen, einander in unserer Würde zu respektieren. 


"Solange noch Kinder geboren werden, ist die Erde noch nicht fertig." Dieses Zitat las ich kürzlich im Kalender „Der andere Advent". Ja, es gibt noch viel zu tun. Wir entwickeln uns als Menschheit beständig weiter, auch wenn man durch den aktuellen Rechtsruck den Eindruck hat, es ginge nur noch nach unten. 

Toleranz und Fairness sind keine Selbstläufer

Hier hilft es zu wissen: Moral entwickelt sich. Dies haben Lawrence Kohlberg und Carol Gilligan brilliant herausgearbeitet, um uns zu zeigen: wir sind nicht von Anfang an dazu in der Lage, unser Mitgefühl auf alles auszuweiten, was lebt. Zuallererst beginne ich in der Phase des Trotzkopf, vor allem mich und meine Bedürfnisse zu sehen und an erste Stelle zu setzen. Das ist gut und gesund, so bildet sich meine Ich-Persönlichkeit als tragendes Gerüst meiner selbst allmählich heraus. Mein moralisches Empfinden ist damit jedoch vorerst rein egozentrisch. 


Erst nach und nach erkenne ich, dass es neben mir auch noch andere Artgenossen/innen gibt und beginne, mich in soziale Gefüge einzubinden. Hier erweitert sich meine Moral auf meine Bezugsgruppe und wird ethnozentrisch. Mein Stamm, mein Clan, meine Familie, mein Verein, meine Nation, meine Religionsgemeinschaft. Der nächste Entwicklungssprung, mein Mitgefühl schließlich auf alle fühlenden Wesen auszuweiten, ist groß. Jetzt erst realisiere ich: jeder ist Teil meiner Gruppe. Diese weltzentrische Moral setzt eine Entwicklung voraus, die im Laufe des Lebens erfolgen kann - nicht muss! (Wer Lust hat, vertieft sich hierzu gern bei Ken Wilber und Carol Gilligan.)

Moralische Großherzigkeit ist jedoch anfällig für Stress, Not und Krisen. Komme ich arg in Bedrängnis, verkleinern sich mein Mitgefühl, mein Gerechtigkeitsempfinden und engen meine Sicht ein. Plötzlich liegen mir ausschließlich die Bedürfnisse meiner Gruppe am Herzen, wo ich kürzlich noch die Einbezogenheit aller gepredigt habe. Wo vorher noch Vertrauen herrschte, macht sich die Angst um das beste Stück vom Kuchen breit. Oder gar ums pure Überleben.


Ausgeprägte Moral ist demnach kein Selbstläufer. Vor allem nicht in Zeiten, in denen uns unsere Medien eine Welt voller Gefahr und Terror präsentieren. Sie braucht immer und besonders jetzt gute Vorbilder und eine stimmige Begleitung. 


Hieran knüpft sich für mich die Verbindung zu meiner eigenen Würde. Bin ich als Mensch gut mit ihr im Kontakt, kann ich sie auch bei anderen achten und respektieren. In einem würdevollen Bewusstsein richte ich mein Handeln danach aus, was mir und anderen gut tut. Fehlt mir jedoch der Bezug zu meiner inneren Würde, fehlt er mir meist auch im Umgang mit anderen und der Welt im Allgemeinen. Angreifende, verletzende Worte oder das Wegschauen bei gleichartigen Handlungen sind Folge davon. Es tut uns allen insgesamt nicht gut, hier kein deutliches STOP zu setzen.

Dies ist jedoch dringend nötig. Ebenso wie zahlreiche Gelegenheiten, Plattformen und Foren miteinander darüber ins Gespräch zu kommen, wie wir eine weltoffene und herzliche Gesellschaft der Zukunft gestalten wollen. 


Denen, die dazu bereit sind, sage ich: lasst uns lautstarke Vorbilder sein, lasst uns uns vernetzen, öffentliche Gespräche führen und sichtbar tatkräftig werden. Denen, die stattdessen lieber das Gegeneinander beschwören, sage ich: schweigt.


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