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Tod durch Erwartung

Wir Menschen haben oft eine Menge Vorstellungen davon, wie unser Leben auszusehen hat: wie etwas zu passieren hat und bis wann; was jemand tun oder lassen sollte, wie die Dinge abzulaufen hätten, kurzum: wie das Leben zu sein hat, damit unsereins glücklich ist. Oder zumindest zufrieden.

Wie Pläne uns die Laune verderben
Houston, ich habe einen Plan.

Wir haben diese Bilder und Vorstellungen von Gesellschaft wie sozialem Umfeld übernommen und tragen sie meist schon über einen längeren Zeitraum in uns. Zum Realitäts-Check kommt es erst dann, wenn die blanken Tatsachen mit den vorgefertigten Annahmen kollidieren. Wer hat sich nicht schon mal ausgemalt, wie der Silvesterabend, ein Date oder Konzert aussehen sollten und fand sein Bild spätestens zum Ende hin als Scherbenhaufen vor sich wieder? Erwartungen töten alles. 


Erwartungen engen den Blick ein. Noch viel mehr als das machen sie das Herz eng und Angst stellt sich ein. Die Angst, ich könnte weniger glücklich sein, wenn es anders läuft als gedacht. Also bauen wir unentwegt am Schiff unserer Erwartungen, schnitzen das Holz, verzieren die Planken, malen die Segel größer und größer. Am Ende tuckert jedoch ein oller Kahn heran und will uns weismachen, mit ihm könnten wir die beste Fahrt unseres Lebens haben. Wie wenig vorstellbar, ungläubig gucken wir auf die Löcher im Boden, das winzige Segel, die abgewetzte Farbe des Bootes. Am liebsten würden wir schreiend Kehrt machen und uns an der Rezeption beschweren. Wie anders haben wir uns doch das Vehikel unserer großen Reise vorgestellt! 

Beklommen klettern wir hinein, was bleibt uns übrig?! Vorläufig entscheiden wir uns, trotzig in Widerstand zu gehen. Alle Mann an Bord, der Kurs lautet Ablehnung! Volle Kraft voraus! Bis wir plötzlich an einer wilden Lagune vorbei kommen. Tropisch schimmernd liegt sie vor uns, prallgrün lacht das Blattwerk, Früchte soweit das Auge reicht. Dazwischen ein regenbogenfarbener Vogel, der eine atembetörende Melodie trällert. Beim Anblick fällt es uns wie Schuppen von den Augen: nur dieser kleine, verstaubte, unscheinbare Kahn konnte uns genau hierher bringen. In seiner Wendigkeit und Unauffälligkeit glitt er mühelos durchs Dickicht ohne zum Erliegen zu kommen. 

Was auf den ersten Blick die pure Enttäuschung war, entpuppte sich als genau das richtige Gefährt. Auch wenn unser Kopf uns etwas völlig anderes weismachen wollte.


Ein sehr alter Mann, geprägt durch mehrere Jahre Konzentrationslager, Jehuda Bacon, sagte einmal: "Im Leben steht man immer wieder vor der Frage: Ist das wichtiger oder das? Dann muss man sein Herz befragen. Schaut man tief in es hinein, ist es wie ein Kompass, der einem die richtige Richtung zeigt.“ 


Nun ist das oft leichter gesagt als getan, sein Herz befragen. Doch vielleicht reißen wir uns ein wenig los von den engen Zügeln unseres Verstandes mit seinen prall gefüllten Erwartungsbildern. Das geht umso besser je mehr ich mir meiner Annahmen und Vorstellungen bewusst werde. Spüre, wie sie mich lenken wollen. In solchen Momenten besinne ich mich. Ich stelle mir die Frage:


Was ist mir wichtiger: will ich Recht behalten

oder in guter Verbindung mit mir, anderen und dem Leben sein?


Die Antwort liegt immer auf der Hand. Jetzt liegt es an mir, mein kleines, großes Ego hintenanzustellen und mich dafür zu öffnen, dass das Leben auch ganz anders sein kann als ich es mir ausmale. Mit mir als glücklichem Mensch darin.


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