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Die drei Wege der Erkenntnis und ihr Wert für unsere globalen Probleme

Ken Wilber zu lesen ist immer wieder eine kleine Offenbarung. Und ein gutes Geistestraining, braucht man doch einiges an Konzentration, um sich seinen komplexen Gedankengängen anzunähern. Er schreibt über die drei Augen der Erkenntnis, die uns Menschen zur Verfügung stehen: das Auge des Fleisches (grobstofflich und materiell), das Auge der Vernunft (geistig und seelisch) und das Auge der Kontemplation (kausal und transzendent). Anders ausgedrückt: alles, was ich meinen fünf Sinnen oder ihren Verlängerungen wahrnehmen kann, alles, was ich mir mit den Mitteln meiner Vernunft mental erschließen kann und alles, was ich in meditativen Zuständen erfahren und erfassen kann. Naturwissenschaft, Psychologie und Philosophie sowie abendländische und fernöstliche Versenkung. 


Warum ist dies wichtig zu unterscheiden?

Die 3 Wege von Erkenntnis nach Ken Wilber
Was ich nicht sehe, gibt es nicht.

Wir haben es hier mit drei Möglichkeiten zu tun, die Welt zu erfassen. Es kommt Ordnung in die Dinge, wenn ich diese drei Wege klar trenne. Ein arger Fehler wäre es, sie miteinander zu mischen, indem ich beispielsweise versuche, spirituelle Aspekte oder Fragen nach Gott mittels der Augen der Vernunft oder des Fleisches erörtern zu wollen.  Wir sehen jedoch, dass uns dieser Irrtum passiert - und das in weitläufigem Ausmaß! Heute erklärt uns die Wissenschaft (das Auge des Fleisches) die Welt und dies mit dem Anspruch, Antworten zu allen Aspekten des Lebens zu liefern. Oder eben nicht, indem sie sagt: sehen wir nicht, gibt’s nicht Dieser Irrtum ist uns schon lange nicht mehr bewusst. Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, die Antworten aus der Wissenschaft zu ziehen, dass wir gar nicht merken, wo sie ihren Geltungsbereich überschreitet. Für die zwei anderen Erkenntniswege, Philosophie und Spiritualität, bleibt da wenig Platz in unserer modernen Welt. Der Beginn der modernen Wissenschaft Solange Galileo und Kepler nicht auf dieser Erdoberfläche aufgetaucht waren, lag die Oberhoheit bei der Deutung aller (Lebens-)fragen bei Kirche und ihren Oberhäuptern. Sie ließen uns wissen, dass die Erde eine Scheibe sei, die auf einem Elefanten stünde, der wiederum auf einer Schildkröte steht, die wiederum auf einer Schildkröte thront usw. Man konnte dabei nur müde werden, Fragen nach dem Warum zu stellen. Mit dem Auftauchen von Galileo und Kepler kam jedoch das Revolutionäre zustande. Sie waren die ersten, die sich mit den bisherigen Antworten nicht zufrieden gaben. Fielen zwei unterschiedlich schwere Gegenstände genauso schnell runter, wenn man sie fallen ließ? Beide probierten es aus, unabhängig voneinander. Sie wiederholten ihre Versuche in gleichbleibendem Setting - mit der Veränderung jeweils nur einer Variablen. Sie widerlegten damit nicht nur den Glauben daran, dass zwei unterschiedlich schwere Gegenstände unterschiedlich schnell am Boden ankommen. Sie begründeten mit ihrem Vorgehen zudem eine gänzlich neue Methode: die der wissenschaftlichen Messung. Mit ihrer Hilfe konnte man nun daher gehen und viele bisher unbefriedigend beantwortete Fragen schlicht und ergreifend empirisch prüfen. Die Naturwissenschaft war geboren!  Während es die Philosophie sowie die Kontemplation schon lange gab, hatte man nun Mittel und Wege erkannt, sinnliche Fleischeserfahrungen auf ein stabiles Fundament zu stellen. Fragen nach dem Aufbau unseres Sonnensystems richtete man nicht länger an Kirchenoberhäupter, die sich damit wieder auf ihr Hauptgebiet der spirituellen Erkenntnis konzentrieren konnten.  Die Verleugnung von Vernunft & Spiritualität Die Welt wär ein klein wenig mehr in ihren Fugen gewesen, hätte es bei dieser feinen, aber fundamentalen Unterscheidung bleiben können. Tat es aber nicht und ist sie nicht.  Die Welt geriet erneut aus ihren Fugen und zwar vor allem deshalb, weil sich nun einige Vertreter der neu erklärten Naturwissenschaft dazu aufschwangen, der Welt mitzuteilen: alles, was empirisch nicht gemessen und damit nicht erfasst werden kann, existiert nicht. Richtiger wäre es gewesen zu sagen: alles, was wir mit unseren Methoden nicht sehen, sehen wir nicht. Dafür vielleicht andere - es gibt ja noch zwei weitere Erkenntnispfade (wir erinnern uns). Statt Integration Ausgrenzung. Statt sauberer Trennung, Verwischung und Durcheinander.  Das Ergebnis bis heute: nur die Zahl hat Wert. Alles Unzählbare, alles nicht Messbare, alles Qualitative gibt es nicht, zählt nicht. Klappe zu, Affe tot.  Von echten Werten spricht hier jedoch niemand. Welchen sinnhaft höheren Wert hat die Zahl fünf gegenüber der Zahl drei? Quantität ist nicht gleich Qualität. Eine Zahl besitzt per se keinen Wert oder gar Sinn. Eine Zahl ist eine Zahl ist eine Zahl. Sie drückt aus, wie sich ein Objekt raumzeitlich verschiebt, sobald es sich verändert (bspw. wie viele Sekunden ein Stein braucht, bis er vom Hochhaus geworfen unten auf dem Boden aufkommt).  Das Objekt an sich erhält erst dann einen Wert, wenn ich ihm diesen als Individuum verleihe. Bspw. indem es mir ans Herz gewachsen ist (ein Amulett beispielsweise, ein Bild, eine Fotografie oder ein beliebtes Kuscheltier aus Kindheitstagen). Dies ist ein Prozess, der in und zwischen Menschen geschieht. Er wird gestaltet durch unsere Emotionen und Gedanken, die sich schwerlich in quantitativen Maßen abbilden lassen. Die Wiederbelebung unserer Welt Die Folge dieser Vermischung und Überheblichkeit ist katastrophal: mit der reduktionistischen Aussage „was nicht gemessen werden kann, existiert nicht“, haben wir eine inhaltslose, stumpfe Welt geschaffen. Aspekte wie Liebe, Güte, Solidarität, Toleranz, Neugier oder Harmonie tauchen darin nicht auf, denn sie können mit den Mitteln der Empirie nicht erfasst werden.  Wir alle wissen jedoch, dass diese Dinge existieren. Wir spüren ihren Mangel daran, dass wir Unzufriedenheit, Angst oder Ausgrenzung erleben. Dieser Missstand macht deutlich, was es braucht, um unsere Welt wieder in ihre Fugen zu heben:

1) Eine klare Trennung der drei Bereiche von Erkenntnis.

2) Ein souveränes Selbstbewusstsein von Vernunft wie Kontemplation als zentrale Disziplinen neben der Naturwissenschaft.

Zu guter Letzt: Ein harmonisches Zusammenspiel aller drei großen Wege.

Für die großen Fragen unserer Zeit. (Quelle: Ken Wilber: Die drei Augen der Erkenntnis. Auf dem Weg zu einem neuen Weltbild.)


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