top of page
  • Caroline Winning

Gefühle fühlen - der Schlüssel zu Gesundheit

Mein Bauchgefühl hat einen guten Riecher. Den ich eine ziemlich geraume Zeit schlicht ignoriert habe. Dabei verfügen unsere Eingeweide über deutlich mehr Zellen als unser Gehirn und können eingehende Information um ein Vielfaches schneller registrieren als die oberste Schaltzentrale. Daher ist es im Grunde keine Leistung, sich auf sein Bauchgefühl verlassen zu können. Sie liegt vielmehr im Vertrauen auf die Signale, die aus unserem tiefsten Inneren kommen. Wie schnell funkt der Kopf dazwischen, der beschwichtigt und rationalisiert, was ursprünglich zum Bauchgrummeln geführt hat.


Gefühle in Form meines inneren Rumorens ernst zu nehmen braucht für viele von uns immer noch Ent-Wicklung. Oft sind Gefühle an schmerzhafte Vorkommnisse aus frühen Lebensjahren gebunden, die wir tief in uns vergraben haben. Ereignisse im Heute können jedoch die alte Wunde ankratzen. Wir merken das, sobald wir unverhältnismäßig stark reagieren. Der alte Schmerz wird berührt, die Wunde wieder aufgerissen. Statt ihn zu fühlen und damit gezielte Heilung zu ermöglichen, springen in der Kindheit erlernte Vermeidungsstrategien an. Wir lenken uns ab, marginalisieren unsere Gefühlswahrnehmung, finden Erklärungen für das Verhalten des anderen, neigen zu Verständnis oder suchen den Fehler in uns selbst. Ein gefährlicher Cocktail, der durch seine unterdrückende Tendenz dazu führt, dass der emotionale Stress von damals und heute in uns verbleibt.

Gabor Maté hat in seinem aktuellen Buch "Vom Mythos des Normalen: Wie unsere Gesellschaft uns krank macht und traumatisiert" zahlreiche, eindrückliche Belege dafür aufgeführt, wie verdrängte Gefühle wie Wut, Angst oder Trauer uns krank machen. Der chronische Stress, der entsteht, indem wir erlebtes Leid tief in uns begraben, führt zu Entzündungen im Körper, die eine Ursache für viele gravierende Krankheiten sind: Krebs, Multiple Sklerose, ALS, Morbus Crohn und sogar Alzheimer stehen im Zusammenhang mit unterdrückten traumatischen Erlebnissen.

Krankheit taucht somit nicht urplötzlich aus dem Nichts auf und überfällt uns wie ein externer Virus. Sie stellt vielmehr einen Prozess dar, der sich einstellt durch das komplexe Zusammenwirken psychologischer, biologischer und sozio-ökonomischer Einflüsse: Haben wir genug soziale Unterstützung, um mit heutigem Stress umzugehen? Plagen uns finanzielle Sorgen? Haben wir Missbrauch oder emotionalen Stress in der Kindheit erlebt? Leben wir in einer gesunden Beziehung? Fragen, die allesamt Relevanz für die Entstehung und den Verlauf von Krankheiten haben, die beginnen, Symptome zu fabrizieren und damit auf dem Radar erscheinen. Fragen, die eher selten im Arztzimmer gestellt werden, obwohl sie unbedingt dorthin gehören.

Der Mythos des Normalen - wie wir als gesellschaft darunter leiden, Gefühle zu unterdrücken

Mein unterdrücktes Bauchgrummeln war ein nichtbeachtetes Signal für meine Wut. Verhaltensweisen, die eigentlich verlangt haben, dass ich ihnen energisch gegenübertrete, wurden stillschweigend hingenommen. Die Erwachsene in mir hatte die Bühne ihrem jüngeren Ich überlassen. Dieses wiederum hatte aus erlerntem Muster hingenommen statt aufzubegehren. Das ursprüngliche Unwohlsein war dem Glauben gewichen, mein Gegenüber hätte mehr Kompetenz und damit Recht als ich. Die klassische Autoritätsfalle: statt auf die innere Führung zu hören & Eigenverantwortung für meine Bedürfnisse zu übernehmen, überließ ich sie äußeren Autoritäten. Kopf schlägt Bauchgefühl.

Mir die in ihm wohnende Wutkraft immer mehr zu eigen zu machen und mit ihrer Hilfe zu lernen, Stop zu sagen, selbst wenn ich (noch) gar nicht so genau sagen kann, was mich konkret stört, bleibt eine Aufgabe. Ob Wut, Schmerz, Unsicherheit oder gar Freude: in unserer wissensorientierten, schnellen Welt voller Zahlen, Daten & Fakten kämpfen unsere Gefühle derzeit ein schweres Gefecht. Mit ihrer Undinglichkeit werden sie immer noch als subjektiv, irrational und damit haltlos angesehen. Im schlimmsten Fall sind wir unreif, wenn wir uns ihnen allzu stark hingeben. Starke, verlässliche Charaktere haben sich im Griff.

Gefühle zuzulassen verringert inneren Stress

Gefühle zu fühlen, indem wir unsere Körpersignale achten, hilft uns, ein authentisches und damit gesundes Leben zu führen. Letzten Endes dienen Gefühle unserem Überleben, indem sie uns anzeigen, was uns gut tut oder schädigt. Sie sind die Warnlampen in unserem System. Ignorieren wir sie und das über längere Zeit, richten sie ihre Energie gegen uns. Das Ergebnis ist chronischer Stress, der unseren Körper in ein Schlachtfeld verwandeln kann.

Als Gesellschaft sickert die Bedeutung von Gefühlen für psychische und physische Gesundheit immer mehr in unser Bewusstsein - selbst wenn es ein noch scheinbar weiter Weg ist, uns ganzheitlich zu betrachten und zu verhalten.

Solange wir unsere essentiellen Kräfte wie unsere Emotionen von uns abschneiden, richten wir Schaden an unserem eigenen und dem Kollektivkörper an. Die Unterdrückung dessen, was uns als Menschen ausmacht, degeneriert unsere Beziehungen zu uns selbst und zu anderen - und damit letztlich auch zu unserer Umwelt. Nur ein fühlender Mensch steht in lebendigem Austausch zu der Welt um sich herum. Schneiden wir uns von Körperwahrnehmungen und damit von Emotionen ab, hängt unser Kopf in der Luft und produziert Vorstellungen, die lebensfeindliche Züge annehmen können. Wie meiner, der dachte, die Gefühle ignorieren zu können und als Antwort eine Entzündung bekam, um die er sich kümmern durfte ;)


bottom of page