Licht und Schatten - der blinde Fleck der Gewaltfreien Kommunikation
Ich schätze die Gewaltfreie Kommunikation sehr. Sie ist zu einem zentralen wie wesentlichen Bestandteil meines Lebens geworden. Mit ihrer Hilfe gelingt es mir, von der Oberfläche des Alltags in die tieferen Ebenen meines Seins einzutauchen und dort fündig zu werden, was es braucht, um das Leben leichter, freud- und kraftvoller sowie klarer zu gestalten.
Ich bin Dank ihrer Hilfe in einen guten Kontakt zu meinen Gefühlen gekommen. Diese leiten mich seit daher zuverlässig in meinen Entscheidungen. Unvermittelt und deutlich wie sie auftauchen geben sie mir schnell Klarheit darüber, ob ich A oder lieber B wähle. Sie transportieren mir unverzüglich einen Eindruck von Stimmigkeit: passt es so oder nicht? Beim Buchen von Tickets, bei der Urlaubsplanung, beim Kauf größerer Stücke ebenso wie in meiner täglichen Arbeit mit Menschen. Je achtsamer ich meine Gefühle wahrnehme, desto sicherer bewege ich mich in der Welt. Für mich trainiert die Gfk damit genau die Herzintelligenz, von der heute so oft gesprochen wird.
Das Herzstück der Gewaltfreien Kommunikation sind die Bedürfnisse, die wir alle teilen. Liebe, Frieden, Sicherheit, Freiheit, Kreativität, Zugehörigkeit, um nur einige zu nennen. Sie in den Blick zu nehmen und deutlich zu machen, dass sie all unser menschliches Handeln leiten, war und bleibt das große Vermächtnis, die heilsame Medizin der Gewaltfreien Kommunikation. Erst jetzt rückte die Aufmerksamkeit weg vom manchmal zerstörerischen Verhalten hin zum seinem Ursprung: dem unsichtbaren, nicht erfüllten Bedürfnis.
Im Alltag erlebe ich es immer wieder als zutiefst heilsam, wenn ich meinen inneren Scheinwerfer auf meine Bedürfnislandschaft richte. Der erste Schritt für mein persönliches Wachstum als auch meine Heilung ist gemacht, wenn ich mir erlaube, meine Bedürfnisse zu wahrzunehmen. Oft stellt sich Zufriedenheit und tiefer Frieden ein, sobald ich meine Seele aufschließe und mich mit ihren Antriebskräften verbinde. In Zeiten von hohem Stresspegel wird mir klar: ah, es fehlt mir an Leichtigkeit! An Spiel, Ausgleich und Kreativität. Wie gut das tut, dieses Erkennen und Benennen! Jetzt kann ich ausgestattet mit Klarheit und neuer Orientierung daran gehen, Wege und Lösungen für mein Thema oder meine Herausforderung zu finden.
Man könnte auch sagen, das ist es, was die Gewaltfreie Kommunikation der Welt gebracht hat: einen Blick hinter die Kulissen, das Sichtbarmachen des Unsichtbaren und einen Zugang zu den grundlegenderen Schichten unseres menschlichen Seins. Je mehr ich nach innen schaue, mich mit meinen Gefühlen und Bedürfnissen verbinde und mir so bisher Verborgenes aufdecke, werde ich ganzer, heiler, strahlender. Und glücklicher. Dank Gewaltfreier Kommunikation.
Gleichzeitig bemerke ich zunehmendes Unbehagen in Runden, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, gewaltfrei zu sein. Ich störe mich schon eine Weile am intensiven Eintauchen und Wälzen in den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen. Fast wirkt es, als würden wir an diesem Punkt stehen bleiben nach dem Motto: Hauptsache, mir geht es jetzt besser! Dass nach der Einfühlung in sich selbst auch noch der letzte der vier Schritte, die Bitte an mich oder andere, kommt, rutscht mir allzu oft ins Aus. Dabei ist dies der Impuls, der ein klares, kraftvolles Handeln im Aussen einläutet. Hier werden wir gesellschaftsformend, wirksam und nehmen unsere Verantwortung als Menschen in dieser Welt wahr. Erst mit der Bitte komme ich in meinen erwachsenen, weisen Anteil, dem es nicht ausreicht, inneren Frieden zu erlangen. Aus integraler Brille gesprochen verbinde ich erst durch die Bitte meine Innen- mit der mich umgebenden Außenwelt. Ich überlege mir dann konkret, was ich tun kann, um das Verständnis und Bewusstsein in der Welt zu erhöhen.
Vielleicht mangelt es innerhalb der Gewaltfreien Kommunikation am tatkräftigen, wirkungsvollen Handeln, weil wir alle innerlich einem Trugschluss erliegen: dem, die Gewaltfreie Kommunkation hätte das Ziel, mehr Verbindung zu schaffen. Dass ihr dies gelingt, steht außer Frage. Ihren Zweck jedoch in der Herstellung von Verbindung - untereinander oder zu uns selbst - zu sehen, führt uns in die Irre.
Klar hingegen ist: die GfK hat es sich zur Aufgabe und Bestimmung gemacht, bisher verborgene Ebenen wie menschliche Bedürfnisse in unser Alltagsbewusstsein zu heben. Jedoch nicht mehr und auch nicht weniger. Ihr tiefstes Anliegen ist es, einen weiteren Weg der Erkenntnis und Bewusstwerdung anzubieten. Tritt sie stattdessen mit dem Mantra an, mehr Verbindung und darüber mehr Frieden in der Welt zu stiften, verliert sie ihren Auftrag und vergisst darüber hinaus, dass es Frieden nie ohne sein Pendant, den Konflikt gibt.
Es kann nicht Aufgabe von uns als Vermittler Gewaltfreier Kommunikation sein, eine heile Welt der Harmonie und des uneingeschränkten Verständnisses zu erzeugen. Oder gar unser Anspruch. Es wird immer Bereiche und Handlungen geben, die wir nie vollständig verstehen. Sie jedoch ins Licht zerren zu wollen, indem wir stets das Bedürfnis und den Antrieb des Einzelnen erkennen wollen, würde bedeuten, die Welt im Ganzen erfassen zu wollen. Damit überhöhen wir uns, machen uns regelrecht gottgleich und verlieren die Demut. Wir wissen nicht, was die Welt im Innersten alles zusammenhält. Können es mit unserem menschlich begrenzten Verstand kaum begreifen. Wir wissen jedoch: es existieren Kräfte in ihr - Polaritäten, die beständig dafür sorgen, dass es Weiterentwicklung gibt. Lernen, Wachstum und Reifung.
Wie wir jedoch lernen mit diesen Spannungen, oft getarnt als Konflikte, umzugehen, genau dabei hilft uns die Gewaltfreie Kommunikation. Sie kann uns raustragen aus dem Land des Opferdaseins. Wir können lernen, mit unseren Wunden und Narben durchs Leben zu gehen, so dass wir sie nicht mehr brustgeschwollen vor uns hertragen. Wir können erfahren, wie es ist, mit Schmerz und Leid auf eine Weise umzugehen, dass sich das Leben dennoch lebenswert anfühlt. Wir entgehen dem Konflikt jedoch nicht. Das wäre auch allzu schade, zeigt er uns doch verlässlich ein ums andere Mal, wo unsere Schatten und unser ungenutztes Potential liegen. Er bleibt die Chance zum Reifen.
Das große Bedürfnis nach Verbindung hingegen kann dazu führen, dass unser Wachsen stagniert. Klammheimlich wird das Bedürfnis gar zur Strategie. Was wir in diesem Moment eigentlich wollen, ohne es zu merken, sind Dinge wie Sicherheit, Geborgenheit und Schutz. Unseren Halt in der Welt nicht zu verlieren. Dahin bringt es uns, wenn wir blind dafür sind, welchen Ersatz uns die Verbindung liefern soll.
Stattdessen braucht es ein kritisches Prüfen: wie geht es mir, wenn keine Verbindung aufgebaut oder erhalten werden kann? Was macht das mit mir? Zu erkennen, dass in der Tiefe dieser Fragen meine Sehnsucht nach Angebundensein und ein Vertrauen in die Welt auftauchen, kann mich auf ganz neue Pfade bringen. Und vielleicht weg von den Menschen und Orten, die ich einst für unverzichtbar in meinem Leben gehalten habe.
Wenn wir diesem blinden Fleck der GfK genug Raum geben, bin ich gespannt, welche Entwicklungspotentiale für uns alle noch am Horizont auftauchen...
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