Unsichtbar - Gedanken über weibliche Präsenz
- Caroline Winning

- 11. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Inmitten von Paris, in einem kleinen, englische Literatur führenden Buchladen: ich stehe an der Kasse und will ein Buch kaufen. Die Beschreibung hat mich sofort gecatcht. Subtile Lebensbetrachtungen, zwanghafte Reinigungsroutinen und eine palästinensische Hauptprotagonistin machten mich neugierig. Es ist ein Debüt, das Cover geprägt durch die kunstvoll verschrobene Darstellung einer Person, gepaart mit einer hochtrabenden Empfehlung von Slavoj Žižek.
Ich zücke meine Karte und werde von der Buchhändlerin angesprochen: "Wissen Sie eigentlich, dass ich die Autorin bin?" Ich gucke sie irritiert an: "Wollen Sie mich veralbern?" und frage ein zweites Mal nach. Wir kommen ins Gespräch über ihre 7jährige Schaffensphase, die Buchhandlung als ihren Arbeitsort; schließlich schreibt sie mir verschmitzt eine Widmung in mein Exemplar und ich verlasse amüsiert & etwas verdattert den Laden.
Erst im Hinausgehen verstehe ich mehr und mehr mein Erstaunen über diese Begegnung. Wie kann es sein, frage ich mich, dass die Autorin eines Buches mit solch überragenden Rezensionen so gänzlich unbemerkt ihr Buch verkauft - und das im wohlgemerkt einzigen englischsprachigen Buchladen weit & breit! Wo sind die Plakate, die mit ihrem großen Erfolg werben, wo ihr Portrait, das sie als Autorin bekannt macht?

Mein Blick auf dieses Geschehen ist der einer Frau und zwar einer Frau, die häufiger mit der 2. Reihe hadert. Die sich schwer tut, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, 100mal die Buchstaben bewegt, bevor sie etwas in den Orbit schickt, die sich immer wieder fragt, ob das, was sie bewegt und veröffentlicht, überhaupt von Interesse und Bedeutung für jemanden ist. Die Glaubenssätze mit sich rumschleppt, die bereits vor 1000 Jahren dafür gesorgt haben, dass kluge, weise, mutige Frauen bis heute ihren Mund halten. Sätze á la
"Ich kann nichts."
"Ich hab nichts beizutragen."
"Ich bin dumm." ... (die Liste ließe sich ellenlang fortsetzen)
Und so grübele ich darüber, wie es wohl wäre, würden diese giftigen Sätze die Seele der Frauen nicht verstellen? Was machte es für einen Unterschied - für die Autorin, für mich als Frau, für uns als Gesellschaft - wenn wir frei wären von dieser kollektiven Prägung, die das Haupt aller weiblichen Wesen tief in den Sumpf drückt, während wir versuchen, an die Wasseroberfläche zu gelangen. Wie wäre es, wenn wir Frauen uns ganz selbstverständlich und uns ohne das Gefühl toxisch klebriger Scham den Raum nehmen würden? Im Einklang mit unserem Geburtsrecht, welches wir noch immer mühevoll versuchen einzulösen.
Wahrscheinlich wären unsere Körper frei und beweglich, ohne mahlenden Kiefer, weil weil wir unsere Worte zurückhalten. Ohne eingezogene Schultern, weil wir gelernt haben, uns zu verschließen. Stattdessen ein Strömen & Fließen im ganzen Leib, mit einer inneren Wohligkeit, nahe dem Glücksgefühl. Ohne die innere Unruhe und Nervosität durch Scham, Schuldgedanken & Angst. Frei von Entzündungen durch Stress, die den Boden für Gravierendes wie Krebs, Diabetis oder Alzheimer bereiten.
Dem Lächeln der Autorin wäre die ihr innewohnende Lebendigkeit anzusehen, ein Quell für alle, die damit in Berührung kommen. Statt neidisch oder kritisch auf ihre Größe zu gieren, würde sich Freude über ihr Potential breit machen und dazu beflügeln, die Größe in uns selbst zu entdecken. Das Feiern ihres Schaffens würde uns gesellschaftlich darin verbinden, das Leben in seiner Großartigkeit, Zähigkeit und Anstrengung zu akzeptieren. Das, was uns natürlicherweise trennt, würde aufgebahrt werden in all jenem, was uns verbindet.
Im Konkreten hat mich diese Begegnung daran erinnert, meine Errungenschaften und Bemühungen öfter zu würdigen und mich mit Wagemut & Milde in die weite Welt hinauszutrauen. Mir trotz der irrigen Überzeugungen in mir bewusst zu machen, dass mein ureigener Ausdruck so in dieser Welt noch nicht vorkommt - auch wenn vieles bereits gesagt wurde. Das, was jede Einzelne von uns zu geben hat, wird immer einzigartig bleiben und damit seinen unverwechselbaren Eindruck in der Welt hinterlassen.
PS. Das Buch kommt übrigens demnächst bei uns unter dem Titel "Schmutz" raus, die Autorin ist Yasmin Zaher. Eine leuchtende Empfehlung!
PSS. Hier wird der bisherige Lebensweg der Autorin & ihr Schaffen vorgestellt >> https://www.theguardian.com/books/2025/jun/01/publishing-is-a-dream-but-this-has-also-been-one-of-the-hardest-years-of-my-life-palestinian-author-yasmin-zaher




Sehr inspirierend. Danke